Vorschulkinder schreiben

 

Manche Kinder interessieren sich
lange vor der Schule für Buchstaben.
Sie tauchen etwa in Zeichnungen auf,
und ihre Bedeutung ist rätselhaft,
rätselhaft wie fast alles in solchen Bildern.
Was tut man als Mutter oder Vater?
Man datiert die Blätter und hebt sie gut auf,
auch wenn es unscheinbare
oder unordentliche Zettel sind.
Später, vielleicht erst nach Jahren,
werden sie kostbar werden!

Niemand kann sagen, ob Anna damals gewusst hat, wie die Buchstaben heißen, die sie ihrer Zeichnung eingefügt hat. Ganz sicher wollte sie nicht schon >Papier< schreiben und hat das eben so getan, wie sie das Wort hört. Ganz und gar rätselhaft sind die beiden Zwitter aus B und P am oberen Rand. Oder hat sie da überlegt, wie aus dem einen Zeichen mit langem Bein und einem Kopf das andere, das mit den zwei Köpfen werden kann? Das können ja doch keine Köpfe sein! Aber sie wiederholen zweimal die Form am oberen Ende des P, das noch lange nicht P heißt, nur so ausschaut, weil sie es gesehen und nachgeahmt hat.

Das P kann man leicht nachahmen, es hat eine charakteristische Form. Auch A und E sind so typisch, dass man gleich raus hat, wie sie gehen. Und es sind feste Zeichen, sie behalten ihre Gestalt in jeder Größe.
Anna hat auch entdeckt, dass Buchstaben aufgereiht werden. Jedenfalls hat sie das nachgeahmt, vielleicht ohne dass es ihr bewusst wurde. Oder aber sie hat diese kleinen Strichgestalten, die sie überall ringsum finden kann, nebeneinander gestellt, weil es ihr selbst so gefällt, weil sie es hübsch findet oder weil es ihr grad so von der Hand ging.

 

DAS GANZE BLATT IST ZAUBERHAFT!

Und fast alle Buchstaben sind falsch geschrieben, obwohl sie im Ergebnis richtig aussehen. Wer einen Blick dafür hat, sieht: Anna hat jedes Mal mit einem Strich von unten nach oben begonnen. Das ist aber nur beim A richtig im Sinne der Schrift, wie sie sie später wird schreiben müssen – falls ihre LehrerInnen auf die Schrift der Kinder achten.

 

VORSCHRIFTEN

Die Vorschrift legt für fast alle Buchstaben fest, dass sie oben beginnen! Warum aber?
Diese Vorschriften sind das Ergebnis einer Schriftkultur, in deren Verlauf sich ergeben hat, welche Schreibweise für jeden Buchstaben zweierlei am besten sichert:

Er soll seine eindeutige Form behalten, auch wenn er
schneller und flüchtiger geschrieben wird als beim Erlernen.

Und er soll sich in rhythmischer Bewegungsfolge
mit anderen Buchstaben zu Wörtern reihen und dann auch verbinden lassen.

Wie die eindeutige Form des P verlorengehen kann, wenn man es mit Schwung in einem Zug von unten her schreibt, kann man auf Annas Blatt am kleinsten P sehen.


GUTE VORBILDER STATT KORREKTUREN

Sollte man nun einem Kind wie Anna schon bei einem Umgang mit Buchstaben, wie sie ihr schönes Blatt zeigt, die Schreibweise korrigieren? Sicher nicht! Schon gar nicht mit Rotstift und strengen Ermahnungen.

Aber man sollte, wenn Buchstaben ein Thema werden, für gute Vorbilder sorgen! „Ich sehe, dass Du Dich für Buchstaben interessierst. Und dass Du sogar schon Buchstaben zu schreiben versuchst. Willst du wissen, wie man das ganz richtig macht?“ Und dann kann man das Kind daheim oder auch die Kinder in der Kita mit der Buchstabentafel bekannt machen. Da kann man dann selber nachschauen, wie der geht, den man grad schreiben will.

Ob es irgendwann auch sinnvoll wird, alle Buchstaben miteinander zu betrachten und zum Beispiel herauszufinden, welche mit einem Stich von oben her beginnen und welche von unten, dass müssen die zuständigen Erwachsenen entscheiden. Besser als „Jetzt zeig ich euch, was wichtig ist!“ mag dann sein: „Wer etwas Interessantes entdeckt hat, kann es uns allen zeigen.“

Die Buchstabentafel mit Ziffern finden sie im Heft auf zwei Seiten.
Sie können sie aber auch als Poster bestellen.
Beide mal sind die Groß- und Kleinbuchstaben getrennt voneinander aufgereiht.
Man kann aber leicht herausfinden, wie sie zusammengehören.

Im Heft stehen die beiden Tafeln untereinander, als Plakat sind sie auf zwei Bögen verteilt, die man nebeneinander in Augenghöhe an die Wand hängen kann. In der Kita wird vor allem der Bogen mit den Großbuchstaben interessant sein.


FALSCHEN GEWOHNHEITEN VORBEUGEN

Wenn Kinder regelmäßig schreiben, auf jeden Fall aber, wenn sie die Kleinbuchstaben einbeziehen, sollte man ihnen doch etwas auf die Finger schauen. Falsche Bewegungsabläufe, die sich durch Wiederholung ausgebildet und eingeprägt haben, sind später kaum noch zu korrigieren und können auch Verwirrung stiften.

Gefährdet oder gefährlich sind die Buchstaben, die häufig geschrieben werden:
Die Buchstaben des eigenen Namens und das kleine , das überall vorkommt.

Schreibt man das kleine e verkehrt herum, von unten her mit dem Bogen im Uhrzeigersinn, gerät es bald zum Kringel, ähnlich einem Schweineschwänzchen. Und es lässt sich später mit dieser Bewegung in keine verbundene Schrift einfügen. Dann muss mühsam umgelernt werden.

Gefährdet oder gefährlich sind auch das kleine und die formverwandten Buchstaben.

Sehr viele Kinder schreiben von sich aus das große und das kleine von unten her und im Uhrzeigersinn gebogen. Das behindert die flüssige Verbindung mit anderen Buchstaben.


 
Vor allem aber behindert es auch die Entwicklung einer schlüssigen Bewegungsform für
/ / .
Das ist schlimm vor allem für das : Da es so häufig vorkommt, wird es oft geschrieben und prägt sich entweder als richtige, klare, Sicherheit gebende Form tief ein, die von keiner Verwechslung mit dem irritiert wird. Oder sie ist ein beständig sich wiederholendes Moment von Unklarheit und Unsicherheit. Im Kapitel Druckschrift ist das schon einmal thematisiert.
Hinter der dort erwähnten Möglichkeit, / / zu verwechseln, steckt eine Geschichte.


FORTDAUERNDES MISSGESCHICK

Als ich einmal mit meinen StudentInnen im Praktikum eine zweite Klasse besuchte, saß ich neben einem netten, aufgeweckten Jungen. Er schrieb eine kleine Geschichte und ließ sich von mir helfen. Er schrieb geläufig seine klaren Buchstaben so, wie er es von seiner Lehrerin gelernt hatte. Aber manchmal wurde er unsicher. Schließlich fiel mir auf, dass das immer passierte, wenn er einen von diesen dreien schreiben musste: / / . Und die kamen mehrmals vor. Er schrieb sie alle drei falsch: Er zog einen senkrechten Strich von unten hoch, dann setzte er rechts einen Bogen an. Und auch den zog er von unten hoch

Alle Striche hatten eine ungenaue Länge. Und so konnte man eigentlich nur aus dem Wortzusammenhang ermitteln, welcher von den dreien jeweils gemeint sein sollte.

Warum schrieb Adrian alle anderen Buchstaben richtig und sicher, nur diese drei unsicher, falsch und verwechselbar? Zwei davon kommen in seinem Namen vor: / . Er muss sie sich - vor der Schule? - selbst beigebracht haben, aber eben falsch. Mit seinem Namen hatten sie sich tief eingeprägt, waren in ihm hängen geblieben und hatten das formähnliche einbezogen.

Wie tief die Gewohnheit, bei diesen Buchstaben jeden Strich von unten anzusetzen, haben wir gemerkt, als wir versucht haben, in umzutrainieren. Da haben wir viel gelacht. Aber wenn so ein Missgeschick unerkannt bleibt und fortdauert, kann es die zum souveränen Schreiben und Lesen nötige Selbstsicherheit untergraben und vielleicht zu Ablehnung, Abwendung und Übungsmangel in Bezug auf Schriftsprache führen. Und wenn es schließlich ganz dumm kommt, „hat das Kind Legasthenie“, und keiner weiß, wie sie entstanden ist.


ABER KEINE ANGST!

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Sie sollen Ihr Kind nicht belauern, ob es irgend etwas aufs Papier bringt, was zu einer gefährlichen Gewohnheit werden könnte, und dann energisch gegensteuern!

Nützen sie den Moment, wo Ihr Kind wissen möchte, wie man es richtig macht.
Und dann zeigen sie es ihm – wenn sie es selber wissen.
Oder sie suchen mit ihm zusammen den Rat der Buchstabentafel.
Wenn Sie dann entdecken, dass Sie selbst
etwas anders und also falsch machen: umso besser!
Lassen Sie sich von Ihrem Kind auf die Finger kucken:
Machst du es jetzt richtig? Gut, Mama! Bussi!

Und das gilt vor allem für den richtigen Griff! Wie halten sie Ihren Stift? So, wie die Kinderhände es zeigen, im Heft und auf dem Plakat? Oder greifen sie zu tief und drücken den Zeigefinger durch?

Jeder, der Kinder erzieht oder unterrichtet,
sollte mindestens einmal im Jahr etwas lernen,
wozu er eigentlich keine Lust hat.
Die Erfahrungen, die man da mit sich selbst macht,
sind wertvollste Fortbildung in Sachen Kindererziehung!

DIE HÄNDE ENTDECKEN

Alles, was man mit beiden Händen tut, ist Medizin für Geist und Seele.
Und es entwickelt natürlich die Hand- und Fingerfertigkeit.
Und wie wunderbar:
Es bereitet sogar ganz nebenbei aufs achtsame Schreiben vor!

Was kann man mit beiden Händen tun?

  • Klatsch-und Fingerspiele
  • Sandhügel auftürmen und durchtunneln
  • Möhren schälen, schneiden, raspeln
  • Perlen auffädeln
  • Schachteln und Flieger falten
  • Erbsen auspulen
  • Staub wischen
  • Schnürsenkel binden
  • Blusen zuknöpfen
  • Klötze auftürmen
  • Schusser spielen
  • Wäsche aufhängen
  • Zöpfe flechten
  • Teig kneten
  • Bänder knüpfen
  • Puzzle zusammensetzen
  • Geschirr abspülen und -trocknen
  • Bommel wickeln
  • Karten spielen
  • Kunstwerke aussägen
  • Puppengeschirr formen
  • Waschbecken putzen
  • Milchsuppe einrühren
  • Essen austeilen
  • sticken, stricken, häkeln
  • den Tisch decken
  • ...

Das ist wohl reichlich altmodisch! Alles ohne Elektronik? Alles ohne Elektronik! Die ist der Entwicklung der Hand- und Fingerfertigkeit feind, wenn auch der Daumen manche Übung bekommt. Aber ohne seine Mitfinger ist mit ihm wenig anzufangen.

Solche Handfertigkeiten sind zugleich Gelegenheit,
beisammen zu sitzen und miteinander zu plaudern oder gar zu fachsimpeln.
Das tut dem ganzen Menschen gut.
Und es gibt ihm Geborgenheit im Miteinander.
 
Altmodisch, ja!
Aber doch nicht verkehrt!