Die Hand lernt

Man kann auf dem Bildschirm vieles zeigen,
nicht aber, wie Papier sich anfühlt,
glatt oder rau.
Und nicht, wie sich der Stift
auf einem rauen Papier anders,
spürbarer bewegt, als auf einem glatten.

Das aber ist ein Hauptpunkt in    

Das Heft enthält vor allem leere Seiten, ganz ohne Eindruck, nicht einmal Linien sind schon da, nur edles, festes, cremeweißes, raues Papier, dabei so transparent, dass die Linien des Kartons durchschimmern, den man unterlegt. Diese Linien helfen den eigenen Buchstaben, Proportion, Richtung und Halt zu finden.

Nimmt man am Ende das Hilfslinienblatt fort, steht auf dem Blatt nur noch das, was man selbst geschrieben hat: die eigene Schrift! Sie wird nicht bevormundet und entwertet von fremden Linien und Buchstaben.

Wie von selbst, schön und mit Vergnügen lassen sich die Buchstaben schreiben,
wenn man sie schon sehr oft und dabei immer wieder gleich geschrieben hat.
Als Vorbild für die immer gleiche Form haben wir die Modellbuchstaben.
Als würdige Schreibfläche haben wir das kostbare, raue Papier im Heft.
Als passendes Schreibgerät braucht man einen guten Bleistift mit weicher Mine.

Bevor man aber ins Heft schreibt, muss die Hand lernen, wie ihr der neue Buchstabe gelingen will. Das erarbeitet sie sich neben dem Heft, und am besten auf einer echten Schiefertafel mit dem echten Griffel.
Wo man die bekommt? - Bestellung


Ist keine Schiefertafel zur Hand?
Dann sollte man für möglichst raues Papier sorgen.
Auch eine Unterlage unter einem glatten Blatt kann helfen,
wenn sie der Bewegung des Stiftes Widerstand gibt und sie verlangsamt.

 

Die Lehrerin lernt dazu

Seit ich Kinder in den ersten Schuljahren unterrichtet habe, war es mir wichtig, dass sie eine gute Handschrift entwickeln: klar und flüssig, mit Vergnügen zu schreiben und zu lesen, auch belastbar in Eile und Prüfungsstress. Also habe ich geduldig gezeigt, erklärt, korrigiert, getröstet, ermutigt, üben lassen, hab Langsamkeit und freie Bewegung gefördert.

Fast alle Kinder bekamen die Schrift bald locker in den Griff und schrieben gern, nur einige blieben etwas unbeholfen. Und grad die sah ich später in der Zeit für Freiarbeit immer wieder auf Schiefertafeln schreiben.

Diese Tafeln und dazu die alten Griffel hatten sie in der Kiste mit dem Material für das Projekt >Schule früher< entdeckt.

Wenn andere Kinder ihren Block benutzten, nahmen Max und Sandra sich eine der Tafeln zum Schreiben oder Rechnen. "Warum die Tafel?" "Da kann ich schöner schreiben!"

Das sagten beide. Und ich konnte den Unterschied auch sehen: Buchstaben und Ziffern gerieten ihnen mit hartem Griffel auf der Tafel klarer und flüssiger, einfach schöner als mit Bleistift auf dem glatten Papier von Block oder Heft.

Sie hatten vollkommen Recht. Aber warum war das so?

Inzwischen weiß ich, dass das physiologische Gründe hat.
Die Buchstabenformen entstehen aus Bewegungen der Hand mit Griffel oder Stift, an denen Finger und Daumen, Arm, Schulter, Gelenke usw. mit kleinen oder großen Anteilen beteiligt sind.
Diese Bewegungsanteile müssen aufeinander abgestimmt und vereinfacht werden, bis sie fließend elegant ausgeführt werden können.
Das erreicht man durch geduldiges Üben der immer wieder gleichen Bewegungsabläufe.
Das Gehirn, das diese Abläufe steuert, braucht Rückmeldungen über die Ausführung der Bewegungen, um sie auf die entstehenden Linien bzw. Buchstaben, die das Auge sieht, beziehen und der Zielform anpassen zu können.

Wenn der harte Griffel über die leicht raue Schiefertafel reibt, dann "spürt man die Bewegung". Das Gehirn bekommt die Rückmeldung, die es braucht, um zu lernen, die Bewegung sicher zu steuern.
Ähnlich ist es, wenn die Mine eines nicht zu harten Bleistifts über raues Papier reibt.
Ganz anders aber, wenn Kuli oder Filzer über glattes Papier oder gar Folie gleiten, auf denen sie keinen Widerstand finden.

Für geübte Schreiber ist es meist kein Problem, mit gleitendem Stift auf glatter Fläche zu schreiben. Bei ihnen haben sich die Schreibbewegungen bereits so weit verselbstständigt, dass zur Kontrolle der Handbewegung minimale Rückkoppelungen ausreichen. Die gibt meist auch ein gleitender Stift auf glatter Fläche noch her.

Ungeübte Schreiber aber brauchen eine sehr viel deutlichere Rückkoppelung. Fehlt die, geraten die Bewegungen ihrer Schreibhand ungenau, teilweise zufällig, nicht gleichförmig.
So können sie nicht durch Wiederholung geklärt, nicht elegant und nicht eindeutig automatisiert werden.

Die Buchstaben stehen am Ende ausführlicher Übung nicht als selbstverständlich gewusste Buchstabenform und wie von selbst sich ergebende Schreibbewegung zur Verfügung, wenn falsch geübt wurde: mit falschem Schreibgerät, auf falscher Fläche, im falschen Tempo, zu hastig nämlich, ohne Rücksicht auf die Rhythmen des Muskelspiels, die für jeden fließend richtig geschriebenen Buchstaben typisch sind.

Hat die Hand aber in Abstimmung mit dem ganzen beteiligten Bewegungsapparat, dem Auge und dem Gehirn gelernt, wie ein Buchstabe wohlgeformt zu schreiben ist, dann gelingt ihr das schließlich auch mit einem eher gleitenden Schreibgerät.
Damit das gelingt, brauchen die Kinder am Anfang ein raues Papier, das schwer zu beschaffen und auch teurer ist, als glatte Papiere, aber durchaus kein überflüssiger Luxus.