DAS KONZEPT

Grundlegend für das Konzept

sind zwei Erfahrungen
und eine Absicht.

Die eine Erfahrung ist,
dass sich in den schriftlichen Arbeiten, mit denen in der Schule kommuniziert, Wissen gesammelt, Aufgaben bearbeitet und Leistungen vorgewiesen werden, heute eine breite Verwahrlosung zeigt. Sehr viele Kinder sind in ihrer ganzen Schulzeit dadurch im Lernen behindert, dass sie über keine klare, formstabile Handschrift verfügen. Ihre Schrift zeigt eher Nachlässigkeit und Überdruss, als aufmerksame Genauigkeit bei der Arbeit und Stolz auf das Ergebnis und auf die eigene Person. Das Handwerk des Schreibens ist den Kindern fremd. Da sie aber trotzdem schreiben müssen, pfuschen sie, so gut es eben geht.

Die andere Erfahrung ist,
dass Kinder, die von Anfang an alle Buchstaben der Druckschrift sorgsam und gründlich gelernt, also formgenau und ausgiebig geübt haben, bald so bereitwillig und lesbar schreiben, wie sie offen und verständlich sprechen. Zufrieden mit der eigenen Schreibarbeit, oft sogar stolz auf sie, finden sie darin eine Quelle selbstbewusster Gelassenheit gegenüber ihrer Lehrerin und den neuen Aufgaben, die sie ihnen stellt. Die gepflegte Kommunikation im Bereich des Schriftlichen, in der die Lehrerin zugleich Vorbild und Partnerin ist, prägt den Umgangsstil allgemein positiv.

Die Absicht ist,
Kinder in der Grundschule das Schreiben mit der Hand zuverlässig und ohne Umwege so lernen zu lassen, dass ihnen die Schrift möglichst bald als eine Art Handwerkszeug beim Lernen mühelos zur Verfügung steht. Das ist besonders wichtig für die Kinder, die es in der Schule schwer haben und die daheim wenig unterstützt werden.

Will man diese Absicht erfüllen und
Kindern eine gute Handschrift ermöglichen,
muss man bedenken,
was Schreiben eigentlich ist.


Schreiben ist eine motorische Tätigkeit
und muss als solche verstanden, entwickelt und geübt werden. Klare, flüssige Buchstaben und Schriftzüge entwickeln sich nicht aus nachlässigen, hastigen Schreibbewegungen, indem alles Ungenaue mit der Zeit von ihnen abfällt, wenn man nur hin und wieder irgendwie schreibt. Die richtigen Schreibbewegungen müssen sorgsam gestaltet und sehr oft gleichförmig wiederholt werden, zunächst bedächtig, bis sich ein stabiler Bewegungsablauf ausgebildet hat, der dann allmählich rascher und flüssiger werden kann.
Ungünstige und falsche motorische Muster, die sich durch Wiederholung eingeprägt haben, können nicht einfach durch bessere ersetzt werden; man muss dann Falsches zuerst mühsam verlernen.

Schreiben ist eine handwerkliche Tätigkeit,
für die man bestimmte Materialien und Geräte braucht, um sie sachgerecht und gut ausführen zu können. Lernlinge brauchen raue Schreibflächen und Schreibgeräte, die beim Schreiben eine spürbare Reibung ergeben, also Schiefertafel und Griffel oder raues Papier und weichen Bleistift. Fortgeschrittene können gleitende Schreibgeräte auf glatten Flächen angemessen steuern. Alle sollten darauf achten, mit welchen Materialien und Geräten ihre Hand am sensibelsten und genauesten umgehen kann.
Eine günstige Handhabung der Schreibgeräte ergibt sich nicht unbedingt von selbst, man muss sie sich zeigen lassen. Ungünstige Handhabung wird zur Gewohnheit, die später kaum zu überwinden ist, weil sie geläufig ist, während die Hand sich bei einer neuen Handhabung zunächst plump fühlt, bis sich auch da Geläufigkeit einstellt.

Schreiben ist eine differenzierte Tätigkeit,
die man am leichtesten und am besten erlernt, wenn man sich ihr bewusst, neugierig und selbstkritisch widmet. Der Zusammenhang von Buchstabenform und Linienführung muss bewusst erfasst werden. Die Verwandtschaft von Buchstaben in Form und Bewegung muss neugierig erkundet werden. Das eigene Geschriebene muss selbstkritisch mit den Vorbildern verglichen und ihnen angepasst werden.
Das Gespräch über die Schrift, das die eigenen Schreibversuche begleitende Fachsimpeln macht im Licht der Benennung Besonderheiten, Ähnlichkeiten und Unterschiede von Buchstaben und Schriftzügen sichtbar und erlaubt eine verfeinerte Steuerung der Hand.

Schreiben ist eine sinnerfüllte Tätigkeit,
in der schon das einfachste kleine Werk, ein einzelner Buchstabe, in Beziehung steht zu einer Fülle von Wörtern, in denen er vorkommt. Mit diesen Wörtern sind die Schreibenden insgeheim verbunden, so weit sie ihnen bekannt und bewusst sind. Bald ahnen sie, dass sie mit ihren Buchstaben die Welt auf dem Papier festhalten können, die enge und auch die weite Welt, das eigene Leben und das Leben der anderen. Das übende Wiederholen einzelner Buchstaben und Wörter ist für Anfänger keine sinnlose Plage, sondern achtsames Verweilen in Weltbezügen, die sich ihnen gerade eröffnet haben. Allerdings muss der Unterricht dafür sorgen, dass die Buchstaben als Schlüssel zur Welt wahrgenommen werden können.
Auch zaghafte Kinder schreiben bald eigene Wörter und Texte, wenn sie in der Erarbeitung der einzelnen Buchstaben Selbstsicherheit gewonnen haben.

Schreiben ist eine ästhetische Tätigkeit,
in der man sich im eigenen Werk spiegeln und zeigen und sich seiner selbst bewusst und sicher werden kann. Das gilt schon, wenn das Etikett auf dem eigenen Heft als Visitenkarte verstanden und gestaltet wird. Es gilt für jede Nachricht, die mit Achtsamkeit geschrieben wurde.
Eine Sammlung schöner Handschriftblätter, auch solche von erwachsenen Künstlern, kann als Beispiel und Ansporn dienen, wenn man bedenkt und beherzigt, dass eine zugleich schöne, persönliche und lesbare Handschrift als Basis die genaue, ausgiebige Schulung der Hand an einer Vorbildschrift für Anfänger braucht.

Schreiben ist eine meditative Tätigkeit,
bei der man sich auf sich selbst zurückziehen, sich seiner selbst in der differenzierten Tätigkeit des Schreibens gewahr werden und sich erholen kann – sogar im Trubel eines Schultages. Das zu erreichen, ist ein Ziel, dass viel Übung und Ausdauer wert ist.

Schreiben ist eine kulturelle Tätigkeit,
bei der man an dem Wissen und Können teilhat, das andere vor einem gesammelt und ausgearbeitet haben. Die Wörter, die wir benutzen, um unsere Gedanken festzuhalten, mitzuteilen, ja überhaupt erst denken zu können, sind uns überliefert und verdienen Respekt.
Die Sprachgeschichte, die sich in der Rechtschreibung zeigt, lohnt tiefes Interesse.
Die Buchstaben, die von Künstlern entworfen wurden, um uns allen zu dienen und uns miteinander zu verbinden, sind großer Liebe wert.
Die Kinder, die in die Schule kommen, bringen die Bereitschaft zu solchem Respekt, solchem Interesse und solcher Liebe mit. Die sollen wir nicht missachten und verkümmern lassen, sondern nähren und stärken. Um der Kinder willen und aus Selbstachtung in unserem Beruf als ihre LehrerInnen in dieser Kultur.